Theater, Fernsehen, Streaming oder doch Metaverse – Bildungsformate nach der Pandemie
Als Leiterin der Wirtschaftsstudiengänge an der Fachhochschule Burgenland vor den Toren Wiens und als Co-Founderin eines reinen Online-Studiums für Marketing an der eLearning Academy for Communication kriege ich nach der Pandemie EIN Fragezeichen nicht mehr aus dem Kopf: Wie funktioniert Bildung künftig noch?
Besonders verwirrend ist der Umgang mit dem Präsenzlernen – dem Theater unter den Bildungsformaten. Man ist vor Ort, die Lehrenden sonnen sich im Scheinwerferlicht, die Lernenden erkennen an Gesten, Wörtern und Stimmlage wie gut ihre Fragen und Antworten sind, ersinnen in der Pause Ideen für Projekte und tauschen mit den Kollegen und Kolleginnen Job-Tipps aus. Wie mir von den Studierenden versichert wird: Die allerbeste Form des Lernens. Aber es verhält sich damit wie mit dem Theater, man findet diese kulturelle Form für die wertvollste, aber man geht nicht so gerne hin.
Und so fragen die Studierenden nicht selten, ob man statt Theater nicht lieber Fernsehen machen könnte. Also doch lieber einen Online-Lehrveranstaltung abhalten, bei der man im Wartezimmer des Zahnarztes sitzen kann, danach kurz im Supermarkt reinspringt und dank der entfallenen Fahrzeit auch noch pünktlich zur Geburtstagsfeier der Oma eintreffen wird. Die Lehrenden wirken dabei leider weniger wie TV-Stars, sondern verkommen vielmehr zu Pausen-Clowns vor leeren Kacheln. Die Präsenz schafft gerade das Niveau einer Radiosendung. Die Kraft des Fernsehens wird selten erreicht. Und trotz aller online-pädagogischen Kniffe fühlen sich die Lehrenden am Ende des Vortrags leer und verloren, wie jemand, der sein Wissen in ein Loch gekippt hat.
Wenn man das Gegenüber schon nicht sieht, dann kann man der „Generation Streaming“ auch auf ganzem Weg entgegenkommen. Daher stehen viele Lehrende seit Ende der Pandemie in den neu an den Hochschulen eingerichteten Studios und zeichnen ihre Lehrveranstaltungen auf. Die Lernplattform wird von der Dateiablage zum Streamingdienst. Studierende können wann und wo sie wollen die Lehrveranstaltungen ansehen, in der von ihnen gewünschten Geschwindigkeit. Die ist meist der Schnelldurchlauf, was alle Medientrainings, die zu langsamen Sprechen und deutlicher Vermittlung von Inhalten auffordern, ad absurdum führt. Der Schnelldurchlauf ist noch der Idealfall, denn dann konsumieren die Teilnehmenden zumindest die angebotenen Inhalte. Das gelingt meist nur, wenn das erarbeitete Wissen im Nachgang auch abgefragt wird. Verzichten die Bildungsanbieter darauf, die Inhalte der Videolehre abzuprüfen, schlägt Netflix ganz schnell die Lernplattform! Nicht selten steht der Lektor oder die Lektorin dann im physischen oder digitalen Hörsaal und will auf dem vorproduzierten Lehrvideo aufbauen, muss aber von vorne beginnen, weil, … wie gesagt: Netflix schlägt Lernplattform.
Aktuell machen wir an unserer Hochschule alles: Theater, Fernsehen und Streaming. Da wäre es nicht ganz abwegig die Ausbildung ins Metaverse zu verlegen, zu dem keiner mehr anreisen muss und das uns in der Qualität der Aufbereitung an die Streaming-Dienste heranreichen ließe. Unsere wartungsintensiven und immer zu kleinen Gebäude wären dann in die virtuelle Welt zu bauen. Die Adresse „Campus 1“ sollte man sich am besten jetzt schon im Metaverse reservieren.
Fernlehre und Streaming-Lehre wird das Metaverse sicher professioneller, interaktiver und spielerischer hinbringen. Die Gretchenfrage bleibt das Lehren im Theaterformat, sprich, im Hörsaal. Hier frage ich mich, ob es die Theatervorstellung an sich ist, welche diese Form so ergiebig macht, oder nicht eher die Pausengespräche, das Rumoren in den Gängen, der Kaffee, den man mit dem Lektor trinkt? Dabei ergibt sich für mich eine immer wieder verstörende Erfahrung aus dem Online-Master-Programm, das ich mit betreibe. Die Studierenden geben dort das Feedback, dass das Studium so „persönlich“ gewesen sei. Wie bitte? Persönlich? Bei 100 % Online?
Wenn ich auf das Angebot der virtuellen Akademie „CLASSMAT3“ im Metaverse von Neyroo blicke, stechen mir dazu „interaktive Live Coachings“ und „Pris“ ins Auge. Genau aus diesem Format kommt nämlich die Rückmeldung über das Persönliche am Online-Studium. Jemand ist da oder – wie bei unserem Online-Studium – ruft Studierende direkt an, wenn sie Gefahr laufen, auf der Strecke zu bleiben. Das scheint nämlich einer der größten Motivatoren für Bildung zu sein: Irgendjemand interessiert sich und hilft. Freilich funktioniert Bildungsfortschritt auch sehr gut mit spielerischen Elementen wie Auszeichnungen und Stufen, die man erreichen kann, aber am Ende ist es ein Mensch oder im Metaverse vielleicht ein Avatar, der mir abwechselnd auf die Finger schaut und unter die Arme greift, der den entscheidenden Unterschied macht. Eine der zentralen Elemente von CLASSMAT3 wird daher sein wie gut Pris ist!
Bevor das Metaverse abhebt, begebe ich mich als Professorin noch einmal kurz ins alte Griechenland. Chat GPT hat einen guten Teil unserer Leistungsüberprüfungen ja untauglich gemacht. Und bis wir prüfungstechnisch wieder an den Computer gehen können, lege ich meine Tunika an und prüfe Wissen ganz persönlich ab. Noch im Theater, aber auf dem Abflug in neue Galaxien.
Über die Autorin:
Prof. (FH) Mag.Dr. Silvia Ettl-Huber ist Vizerektorin für Forschung und Innovation an der Fachhochschule Burgenland (Österreich) und leitet dort das Department Wirtschaft mit sechs Studiengängen und 700 Studierenden. Sie ist Mitgründerin der eLearning Academy for Communication, die reine Online-Studien im Bereich Marketing und Kommunikation anbietet. In Forschung und Lehre spezialisierte sie sich auf Storytelling in der Marketingkommunikation, narratives Management und wissenschaftliches Schreiben.